Das Onlinezugangsgesetz (OZG) ist eines der größten Digitalisierungsprojekte Deutschlands. Es verpflichtet Bund, Länder und Kommunen dazu, ihre Verwaltungsleistungen auch digital anzubieten. Das Ganze sollte bis Ende 2022 fertig sein, ist es aber noch nicht. Ein Teil der 575 Leistungsbündel mit den über 6.000 Verwaltungsleistungen wird jetzt schon digital angeboten. Die schiere Zahl zeigt aber schon, dass es kaum realistisch war, innerhalb von zwei Jahren seit das Gesetz in Kraft getreten ist alle Leistungen digital zugänglich zu machen. So schätzt das auch Misbah Khan ein, sie ist Mitglied des Bundestages für uns Grüne und Berichterstatterin ihrer Fraktion für das OZG. Mit ihr habe ich Anfang April ein Gespräch geführt, das könnt ihr hier ansehen.
Bisheriges OZG fordert nur eine „schöne Webseite“
Das bisherige Onlinezugangsgesetz sieht tatsächlich nur einen Online-Zugang vor, nicht aber die Digitalisierung der dahinterliegenden Prozesse oder auch nur eine digitale Antwort an die Bürger*innen oder Antragsteller*innen. Deshalb wird das OZG häufig als Schaufenster-Digitalisierung kritisiert. Überspitzt gesagt: Das OZG fordert nur eine schöne Webseite.
Ein Bundesland programmiert für alle: Coole Idee, scheitert aber an Visionslosigkeit und fehlender Open Source
Die Entwicklung der Leistungen und Bündel geschieht nach dem EfA-Prinzip: „Eine*r für Alle“. Das heißt, dass die Leistungsbündel auf alle Bundesländer aufgeteilt wurden und jedes Bundesland eine digitale Lösung für alle entwickelt. Die Idee ist cool, weil sie so solidarisch ist. Und die Idee wäre richtig cool, wenn sie funktionieren würde. Misbah hat mir erzählt, dass das EfA-Prinzip daran scheitert, dass es keine gemeinsame Vision gibt, also keinen Blick darauf „Wie kommen wir gemeinsam voran?“.
In der Praxis heißt das, dass die Bundesländer Lösungen entwickeln, die für sie lokal zu ihrem IT-System passen, aber häufig nicht mit den IT-Systemen der anderen Bundesländer kompatibel sind. Das Problem ließe sich verkleinern, wenn wenigstens auf Open Source (noch dazu gut dokumentiert) geachtet würde, aber auch das ist keine Anforderung des OZG. Open Source, also ein offen einsehbarer Quellcode, würde die Nachnutzung für andere Bundesländer vereinfachen. Das würde dem Misstrauen entgegenwirken, dass fertige Lösungen anderer Länder nicht für das eigene Bundesland passen könnten.
Das OZG wird überarbeitet: Entwurf liegt vor, Prozess läuft – Ende 2023 abgeschlossen?
Es gibt also einiges, was im Onlinezugangsgesetz 2020 nicht optimal geregelt war. Momentan läuft der Prozess für das „OZG 2.0“, die Überarbeitung soll einige Schwächen des derzeitigen OZGs heilen. Seit Ende Januar liegt ein Referent*innenentwurf vor, der im Kabinett beschlossen wurde. Auch das hat länger gedauert, als geplant, der Angriffskrieg auf die Ukraine und auch der Anspruch, dass das OZG dieses Mal besser wird, haben den Prozess verlängert. Übrigens wurde ein vorläufiger Entwurf vor einiger Zeit geleaked, woraufhin es zum Inhalt einige Empörung gab. Misbah findet aber – und da stimme ich ihr zu – dass man einen Entwurf für eine Hausarbeit auch nicht auf Grundlage eines Zwischenstandes des Entwurfs bewertet. Jetzt liegt aber der Referent*innenentwurf vor und nun laufen die Berichterstattergespräche. Misbah ist für die Grünen die Berichterstatterin, d.h. ihre Aufgabe ist es, die Grüne Perspektive und die Grünen Forderungen in den parlamentarischen Prozess einfließen zu lassen. Misbah rechnet damit, dass der Ende 2023 abgeschlossen ist. Zu guter Letzt wird das Gesetz im Bundestag beschlossen.
Grüne Forderungen für das OZG 2.0: Rechtsanspruch, Open Source, Ende-zu-Ende-Digitalisierung
Konkret sind das die Grünen Forderungen für das OZG 2.0:
- Im Gesetz muss ein Rechtsanspruch der Bürger*innen enthalten sein, der an die Verwaltung formuliert, dass ab einem bestimmten Zeitpunkt Bürger*innen das Recht auf digitale Prozesse haben.
- Open Source (und auch eine gute Dokumentation) muss als Anforderung formuliert sein. Erst dann kann das EfA-Prinzip sinnvoll genutzt werden und das ist auch im Bundeskoalitionsvertrag ein wichtiger Punkt. Insgesamt hat sich gezeigt, dass transparenter Code insbesondere für staatliche Software super wichtig ist, um das Vertrauen der Bürger*innen zu erhalten und/oder herzustellen.
- Statt nur der Digitalisierung des Zugangs muss das neue Gesetz die Ende-zu-Ende-Digitalisierung einfordern. Dafür muss der Fokus auf die Infrastruktur, die Standards und Schnittstellen gelegt werden. Und dafür wiederum ist die Einbindung der Kommunen sehr wichtig, damit die Digitalisierung in die Fläche kommt und Prozesse so leicht wie möglich werden.
Ende-zu-Ende-Digitalisierung bedeutet, dass nicht nur der Zugang, sondern der gesamte dahinterliegende Prozess digitalisiert wird. Also, dass es eben mehr ist als Schaufenster-Digitalisierung und eine schöne Webseite. Erst dann lassen sich die Vorteile heben, die Digitalisierung mit sich bringt: Repetitive, standardisierte Aufgaben können automatisiert werden und zeitliche und personelle Kapazitäten freisetzen für andere, wichtigere Aufgaben. Voraussetzung für eine Ende-zu-Ende-Digitalisierung ist die Registermodernisierung.
Registermodernisierung als Voraussetzung für Ende-zu-Ende-Digitalisierung
Deutschland hat ein dezentrales Registersystem (das Melderegister ist ein Beispiel) und die Register sind nicht miteinander verknüpft. Die Registermodernisierung soll die Register miteinander verknüpfen, sie soll einen schnellen und digitalen Zugriff ermöglichen, um Prozesse zu vereinfachen und Bürger*innen einen besseren, vielleicht sogar perspektivisch einen proaktiven Service zu liefern. Die Registermodernisierung ist eine gute Sache, trotzdem ist es wichtig genau auf die Ausgestaltung, also die Infrastruktur und die Architektur, zu gucken. In Deutschland ist Datenschutz verfassungsrechtlich stärker verankert als in anderen Ländern. Das ist gut so und wichtig und steht der Registermodernisierung auch nicht im Wege.
MdB Misbah Khans Vision für die Zukunft der Verwaltung: proaktives Handeln zum Vorteil von Bürger*innen
Misbah formuliert ihre Vision für die Zukunft der Verwaltung so: Das Interface, also die „schöne Webseite“, und auch die Infrastruktur dahinter müssen so sein, dass sie uns Menschen mitdenken und sich an uns orientieren und deshalb ist die Verwaltung der Zukunft eine proaktiv handelnde Verwaltung. Es darf einem nicht zum Nachteil werden, wenn man eine Wissenslücke hat, also z.B. nicht weiß, dass man ein Anrecht auf BAföG hätte, dass man blind ist oder die eigene Muttersprache nicht Deutsch ist.
Das bestehende OZG hat eine wichtige Diskussion angeregt und es ist super, dass mit dem OZG 2.0 die Digitalisierung der Verwaltung und der Bürger*innenservices besser werden. Wir Grünen bringen uns mit wirklich wichtigen Punkten in den parlamentarischen Gesetzgebungsprozess ein. Und so geht die Digitalisierung der Verwaltung in die richtige Richtung, langsam, ja, aber die Richtung stimmt.